Hauptstadt Serbiens und Jugoslawiens

 

Der begonnene intensive Aufbau Belgrads nach seiner definitiven Befreiung von den Türken hielt auch in den ersten Jahren des 20. Jh. an. Der Bau des Bahnhofs und des Hafens an der Save verlagert den Schwerpunkt der Stadt. Der frühere türkisch-orientalische Stadtteil, genannt Dorćol, begann an Bedeutung zu verlieren. Ein Hindernis für die weitere Entwicklung stellte allerdings die Tatsache dar, dass Belgrad auch eine Grenzstadt zu Österreich war und dessen Eroberungspolitik auf dem Balkan im Wege stand.

In den Plänen des österreichischen und deutschen Vorstoßes auf den Balkan wurde nach einem Anlass gesucht, Serbien militärisch anzugreifen. Er wurde gefunden, und zwar im dem Attentat gegen den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo. Mit dem Ultimatum und sodann auch dem Angriff gegen Serbien begann der Erste Weltkrieg. Während der viermonatigen Bombardierung marschierte die Vorhut des österreichischen Heeres am 2. Dezember 1914 in Belgrad ein, blieb aber nur bis 15. Dezember. Der Okkupant musste sich wegen der erstarkten Position Serbiens nach dem Sieg in der Schlacht an der Kolubara zurückziehen. Ein neuer Angriff erfolgte zwischen dem 6. und 7. Oktober 1915 unter der Führung von Feldmarschall Mackensen und dauerte ganze 7 Tage und 7 Nächte. Auch trotz 9731 verwundeter und gefallener Soldaten gelang es dem österreichischen Heer, in die Stadt einzumarschieren. Die Agonie Belgrads hielt drei Jahre an. Mit dem Durchbruch der Front bei Saloniki befreiten das Serbische Heer und Teile der verbündeten Armeen am 1. November 1918 Belgrad. Serbien verlor im Ersten Weltkrieg 28 % der Gesamtbevölkerung und Belgrad wurde von allen Städten Serbiens am meisten in Mitleidenschaft gezogen.

Sofort nach der Befreiung wurde Belgrad die Hauptstadt des neugegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, was ihm einen noch größeren Impuls zum schnelleren Aufbau gab. Vergrößert mit Zemun, das sich seit jeher in einem anderen Staat befand, hörte Belgrad auf eine Grenzstadt zu sein und seine Entwicklung schritt schnell voran. Die Stadt breitete sich nicht nur in Richtung Avala, Košutnjak, Čukarica und Donau schlagartig aus, sondern auch der alte Stadtkern wurde mit einer großen Anzahl von Bauten bereichert, wodurch Belgrad Formen einer europäischen Stadt annahm. Nach der Ermordung des Königs Aleksandar I. Karađorđević erstarkten die Kräfte, die den Trägern der neuen Weltordnung - Hitler und Mussolini - immer größere Sympathien entgegenbrachten. Das resultierte im Beitritt zum Dreimächtepakt am 25. März 1941. Zwei Tage später wurde ein Putsch durchgeführt, die Regierung abgelöst und es fanden große Demonstrationen des Volkes statt.

Nur einige Tage danach war Belgrad das Ziel fürchterlicher Bombardierungen und Zerstörungen. Die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe am 6. und 7. April 1941 auf die freie Stadt forderten 2274 Menschenopfer und die Zahl der Verwundeten war um das mehrfache größer. Schwerer oder leichter beschädigt wurden einige tausend Gebäude und von den kulturhistorischen Denkmälern wurde die Nationalbibliothek Opfer der Flammen. Das war der Beginn der vierjährigen Okkupation der Stadt. Deutsche Truppen marschierten am 12. April 1941 in Belgrad ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Neben allen Verfolgungen und Leiden, die die Bürger Belgrads über sich ergehen lassen mussten, forderte auch die Bombardierung der Alliierten im Frühjahr und Herbst 1944 unter ihnen beträchtliche Opfer. Viele Bauten, Wohngebäude wurden zerstört, alle Brücken über die Save und Donau waren eingestürzt und 1160 Menschen kamen ums Leben. Während des Zweiten Weltkriegs verlor Belgrad ca.50.000 Einwohner und erlitt unschätzbaren Schaden und Zerstörungen. Die Truppen der Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens und der Roten Armee befreiten Belgrad am 20. Oktober 1944.

Die neue kommunistische Obrigkeit verhaftete und liquidierte politische Gegner und die Belgrader Jugend wurde an die Srem-Front mobilisiert. Trotz enormer Verwüstungen und allgemeinem Elend begann Belgrad sich langsam von den schweren Folgen des Krieges und der Okkupation zu erholen. Die zerstörten Wirtschaftseinrichtungen wurden saniert und neue gebaut, besonders Industriekapazitäten (vor allem in der Metall-, Chemie- und Elektroindustrie), der Verkehr erfuhr einen Aufschwung, die Kultur- und Bildungsinstitutionen wurden erneuert und ausgebaut. Auf politischer Ebene wurde die Deklaration über die Verkündigung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien als Bundesstaat in Form einer Republik am 29. November 1945 verabschiedet, mit der die monarchistische Herrschaftsform in Jugoslawien aufgehoben wurde, und es begann offiziell die kommunistische Herrschaft Josip Broz Titos. Mit der Verkündung der Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien am 31. Januar 1946 wurde die sozialistische Staatengemeinschaft der jugoslawischen Völker gegründet und die Nationalisierung des Eigentums der Industriellen aus der Vorkriegszeit eingeleitet.

Dank der spezifischen Politik Jugoslawiens unter der Führung von Josip Broz wurde Belgrad ein wichtiges internationales, politisches, kulturelles, sportliches und wirtschaftliches Zentrum. In Belgrad wurden wichtige internationale Treffen abgehalten: 1961 die Erste Konferenz der Staats- oder Regierungschefs der blockfreien Länder, sodann die Konferenz über europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE), die UNESCO-Konferenz, die Jahresversammlung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, die 6. UNCTAD sowie zahlreiche Kultur-, Sport- und andere Manifestationen.

Die Studentenunruhen 1968 (ausgerichtet gegen unreale soziale Unterschiede und die Willkür des bürokratischen Apparats) und das nationale Moment 1974 bewiesen, dass es auf innenpolitischer Ebene Probleme gab. Mit der Verabschiedung der Verfassung im gleichen Jahr schlug der Staat den Weg der Konföderation ein. Die ungelösten nationalen, ethnischen, politischen, ökonomischen und andere Probleme im Land führten 1991 zum Zerfall Jugoslawiens, wodurch die längste Friedensperiode auf dem Balkan im 20. Jh. beendet wurde. Ab 1992 wurde Belgrad Hauptstadt der Bundesrepublik Jugoslawien, die sich aus der Republik Serbien und der Republik Montenegro zusammensetzt. Seit Februar 2003 ist Belgrad die Hauptstadt des neugebildeten Staatenbundes Serbien und Montenegro. Im Mai 2006 verkündet Montenegro die Selbstständigkeit und seit dann ist Belgrad die Hauptstadt eines selbstständigen Staates - der Republik Serbien.