Jahre der Desintegration 1988-2000.

Da es für ernsthafte Aufzeichnungen der neueren Geschichte Belgrads noch immer zu früh ist, geben wir einen kurzen Überblick über alle bekannten Massenereignisse, die die Zeit der Autokratie Slobodan Miloševićs geprägt haben.

2. März 1988. Parlament der SFRJ - Erste Großkundgebung in Belgrad.
Slobodan Milošević wendet sich an die versammelten Studenten, Bürger aus Kosovo und Metohija und an die Arbeiter: "Demnächst werden alle Namen veröffentlicht und ich möchte Ihnen sagen, dass alle, die Menschen manipulierten, um ihre politischen Ziele gegen Jugoslawien zu erreichen, bestraft und verhaftet werden." Aus der Masse war zu hören "Verhaftet Vlasi!" (Azem Vlasi - albanischer kommunistischer Führer aus dem Kosovo), darauf entgegnete Slobodan Milošević: "Ich habe nicht gut gehört, aber ich werde ihn verhaften". 
(Nach einem Bericht des Fernsehens Belgrad gab es 300.000 Kundgebungsteilnehmer und den Berichten der "übrigen" Medien zufolge zwischen 30.000 und 50.000)

18. November 1988. Mündungsstelle der Save in die Donau - Ušće - Staatskundgebung der Amtseinsetzung Slobodan Miloševićs.
Der Vorsitzende des Präsidiums des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Serbiens, Slobodan Milošević wandte sich an die Bürger, die in Fabrikbussen zur Ušće gebracht wurden, und sagte: "Die Schlacht um Kosovo werden wir gewinnen, ungeachtet der Hindernisse, die uns im Lande und außerhalb seiner Grenzen in den Weg gelegt werden. Wir werden siegen, also, ungeachtet dessen, dass sich auch heute unsere Feinde außerhalb des Landes mit jenen im Lande zusammentun. Und dass dieses Volk die Schlacht um die Freiheit gewinnt, wissen auch die türkischen und deutschen Eroberer."
(Nach einem Bericht des Fernsehens Belgrad waren etwa eine Million Menschen versammelt, den übrigen Medien zufolge mehrere Hunderttausend)

9. März 1991. Platz der Republik - Großkundgebung der Opposition.
Weil das Fernsehen Belgrad kein Dementi der SPO (Serbische Widerstandsbewegung) veröffentlichen wollte, hatte Vuk Drašković eine Kundgebung der serbischen Opposition am Platz der Republik angesagt. Die Hauptforderung war der Rücktritt des Intendanten und von vier Redakteuren des staatlichen Fernsehens. Von der Terrasse des Nationaltheaters aus wandten sich die Oppositionsführer an die versammelten Bürger und berittene Polizei versuchte, die Demonstranten zu zerstreuen. Später setzte sie Wasserwerfer ein, schlug auf die Demonstrationen ein. Es gab auch Tote: Branislav Milinović (Demonstrant) und Nedeljko Kosović (Polizist). Auf den Straßen der Hauptstadt fuhren auch Panzer vor. Die Arbeit des Rundfunksenders B92 und des Unabhängigen Fernsehsenders NTV Studio B wurde verboten. Slobodan Milošević bezeichnete in einer Erklärung im Fernsehen Belgrad die Demonstranten als "Kräfte des Chaos und des Wahnwitzes". 
(Nach einem Bericht des Fernsehens Belgrad waren mehrere Tausend "Hooligans" versammelt, den unabhängigen Medien zufolge über 50.000)

10. - 11. März 1991. Terazijska česma (Terazije-Brunnen) - Erster Studentenprotest.
Als Antwort auf die Panzer im Stadtzentrum Belgrads brachen aus der Studentenstadt die Studenten auf. An der Branko-Brücke stellte sich ihnen die Polizei entgegen, setzte Tränengas ein und schlug auf einige Studenten ein. Zoran Đinđić verhandelte mit der Polizei, die einer Gruppe von 5.000 Studenten erlaubte, sich den demonstrierenden Studenten beim Terazije-Brunnen anzuschließen. Die Demonstranten legten 8 Forderungen vor, darunter Rücktritt Dušan Mitevićs, Direktor des Rundfunks und Fernsehens Belgrad und von vier Redakteuren des Fernsehens Belgrad, Rücktritt des Polizeiministers Radmilo Bogdanović und Arbeitserlaubnis für Radio B92 und das Fernsehen NTV Studio B.
(Die staatlichen Medien sprachen von einer kleinen Gruppe Menschen, nach einem Bericht von NTV Studio B waren es dagegen rund 20.000 Menschen)

11. März 1991. Ušće - Erstes Kontrameeting.
Die SPS (Sozialistische Partei Serbiens) organisierte bei Ušče das Meeting "Für die Verteidigung der Republik, für die Verfassungsmäßigkeit, für Freiheit und Demokratie". Zu den Klängen des Kozara-Kolos (Volkstanz) und Skandierungen "Slobo, slobodo" (slobo = Abkürzung für Slobodan; sloboda = Freiheit), "Mörder, Faschisten", "Wir geben Kosovo nicht her", "Ustaše, ustaše" (damit waren kroatische Nationalisten gemeint), "Verurteilt Vuk" (Drašković), ergriffen auf der Kundgebung Dušan Matković, Petar Škundrić, Akademiemitglied Mihajlo Marković, Živorad Igić und Radoman Božović das Wort. Matković sagte, die Studenten auf der Terazije seien Hooligans und rief die Anwesenden auf, loszuziehen, und mit ihnen abzurechnen. 
(Das Fernsehen Belgrad und die Tageszeitung "Politika" berichteten von 150.000 Kundgebungsteilnehmern, den unabhängigen Medien zufolge waren es 30.000)

15. Juni - 10. Juli 1992. Studentenprotest.
Wegen des Inkrafttretens der Sanktionen der internationalen Gemeinschaft am 30. Mai forderten die Studenten den Rücktritt Slobodan Miloševićs, des Präsidenten Serbiens. Unterstützt wurden sie von den Studenten aus Novi Sad, Niš, Kragujevac und Priština. Eine Delegation der Studenten und Professoren sprach mit Milošević, der sagte, er genieße die Unterstützung der Arbeiter, Bauern und Bürger und möchte seinen Rücktritt nicht einreichen. Einer der Studenten sagte nach dem Gespräch, "nicht einmal eine Atombombe werde den Präsidenten verjagen können". Der Präsident reichte seinen Rücktritt nicht ein, und alles endete mit dem Rücktritt des Rektors Rajko Vračar.

28. Juni - 5. Juli 1992. Vor dem Bundesparlament - Versammlung am Sankt Veitstag.
Den Rücktritt Slobodan Miloševićs forderte die in DEPOS organisierte Opposition, aber auch der Thronfolger Aleksandar Karađorđević, der zum ersten Mal nach Serbien gekommen ist. Am ersten Tag sprachen Patriarch Pavle, Thronfolger Aleksandar Karađorđević und alle Parteichefs der in DEPOS organisierten Oppositionsparteien. 
(Nach einem Bericht von RTS (Rundfunk und Fernsehen Serbiens) wohnten am ersten Tag einige Zehntausend "zufällige Passanten" der Versammlung bei, dem Bericht von Studio B und ausländischen Agenturen zufolge waren es 200-500.000 Menschen)

Juli 1993. Bundesparlament - Verhaftung von Drašković.
Nachdem der Abgeordnete der SRS (Serbische Radikale Partei), Branislav Vakić den Abgeordneten der SPO (Serbische Widerstandsbewegung) Mihajlo Marković niedergeschlagen hatte, kam es zu Demonstrationen. Bei diesem Anlass wurden Vuk und Danica Drašković festgenommen. Nach Vermittlungen verschiedener humanitärer Organisationen, der Anreise von Frau Dannielle Mitterand, Demonstrationen auf dem Platz der Republik und einem Brief, den Drašković an Milošević geschrieben hatte, begnadigte der Präsident Serbiens das Ehepaar Drašković.

November 1996 - Februar 1997. In ganz Serbien Bürger- und Studentenproteste. 
Nach dem Stimmenraub auf den lokalen Wahlen organisierte die Koalition "Zajedno" (Gemeinsam) täglich Bürgerproteste in den größeren Städten Serbiens. Parallel zu den Bürgerprotesten begannen auch die Studentenproteste. Trillerpfeifen und Spaziergänge durch die Stadt waren die kennzeichnenden Merkmale der Proteste, aber auch die Polizeikordons - Polizei wurde aus dem Landesinneren herbeigeschafft. Bei einem Durchbruch des "Polizeikordons" beteiligte sich auch die Serbisch-Orthodoxe Kirche und Patriarch Pavle. Die Wahlergebnisse (bzw. der Sieg der Opposition auf lokaler Ebene) wurden nach dem Eintreffen Felipe Gonzalez und Miloševićs "lex specialis" anerkannt. 
(Der Protest dauerte drei Monate)

24. Dezember 1996. Terazije - Kontrameeting. 
Die SPS organisierte ein Kontrameeting, auf dem auch Slobodan Milošević sprach. Die Skandierungen "Slobo, wir lieben dich" erwiderte der Präsident mit "Auch ich liebe euch". Vor, während und nach der Kundgebung gab es einige Ausschreitungen zwischen Anhängern der Koalition "Zajedno" und den Anhängern Slobodan Miloševićs. Alles endete mit dem Tod eines Anhängers der Koalition "Zajedno" und schweren Verletzungen eines anderen sowie mit mehreren Dutzend Verletzten auf beiden Seiten. Serbien befand sich an diesem Tag am Rande eines Bürgerkrieges. 
(Nach einem Bericht von RTS war eine halbe Million Menschen versammelt, den unabhängigen Medien zufolge bloß 40.000)

2. und 3. Februar 1997.  Branko-Brücke - Verprügelung der Bürger.
Da die Spaziergänge verhindert wurden, rief die Koalition ihre Anhänger auf, aus verschiedenen Richtungen den Platz der Republik zu erreichen. Den Spaziergang aus Neu Belgrad führte der Parteichef der SPO, Vuk Drašković, an. Diese Kolonne wurde gegen 20 Uhr von einem Polizeikordon am Brückenanfang auf der Seite Neu Belgrads blockiert. Der Rest der Demonstranten, der ungehindert den Platz der Republik aus anderen Stadtteilen erreicht hatte, zog durch die Branko-Straße, um sich den Neubelgradern anzuschließen. Doch auch diese Kolonne, angeführt von den Parteichefs der DS (Demokratischen Partei) und der GSS (Bürgerunion Serbiens), Zoran Đinđić und Vesna Pešić, stieß am Anfang der Branko-Brücke auf einen Polizeikordon. Nach fast drei Stunden Blockade trat die Polizei gleichzeitig auf beiden Seiten in Aktion. Der Angriff auf die Demonstranten begann mit dem Einsatz von Wasserwerfern, die über die Pop Lukina Straße fuhren. Viele Bürger waren vom Wasser durchnässt, und das bei -10o Grad an diesem Abend in Belgrad. In der allgemeinen Panik wurden mehrere Bürger verletzt und Vesna Pešić bekam einige Schläge mit dem Gummiknüppel ab. Auf ihrer Jagd nach den Demonstranten tauchte die Polizei auch in den Straßen von Dorćol auf, so dass Augenzeugenberichten zufolge auch in der Francuska Straße auf etliche Bürger eingeschlagen wurde. Die Bilanz des Einschreitens - mehrere Dutzend Verletzte, darunter auch einige Polizisten sowie mehrere festgenommene Demonstranten.

24. März - 09. Juni 1999. NATO-Bombardierung.
Das Regime Slobodan Milošević nutzte sogar die tragischsten Augenblicke in der neueren Geschichte des serbischen Volkes für eine hemmungslose Parteipropaganda und die Abrechnung mit Andersdenkenden aus. Die Versammlung einer großen Zahl von Belgradern auf Antikriegskonzerten auf dem Platz der Republik wurde für kurze Zeit in einen billigen Propagandatrick für die Kamera von RTS umgewandelt, denn die Zahl der Besucher sank schlagartig. Zu Ostern wurde vor seiner Wohnung der Journalist Slavko Ćuruvija ermordet als Ergebnis einer nie da gewesenen Medien- und Polizeihetze des Regimes gegen alle politischen Opponenten. Obwohl alle Medienanstalten aus ihren Räumen evakuiert wurden, ist die dritte Schicht der Mitarbeiter von RTS offenbar absichtlich im Gebäude in der Aberdareva-Straße zurückgelassen worden, damit ihre Tragödie Propagandazwecken dienen konnte.

19. August 1999. Vor dem Bundesparlament - Kundgebung der Opposition am Tag der Verklärung Christi.
Auf der ersten Großversammlung der Opposition in Belgrad nach dem Krieg kam es offensichtlich zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Führern der zwei Oppositionsblöcke - Vuk Drašković und Zoran Đinđić, die sich sogar in Handgreiflichkeiten unter den Sicherheitskräften auf der Tribüne äußerten.

September 1999. Proteste des Bündnisses für Änderungen.
Nach 50 Kundgebungen in ganz Serbien begannen ab 21. September das Bündnis für Änderungen und das Bündnis der demokratischen Parteien in fünfzehn Städten täglich Proteste gegen das Regime Slobodan Milošević zu veranstalten. In Belgrad wurden wie zur Zeit der Proteste 1996/97 Protestspaziergänge organisiert.
Am 29. September brach verschiedenen Schätzungen zufolge eine Kolonne zwischen 30 und 80.000 Bürgern vom Platz der Republik in Richtung Dedinje auf. An der Ecke der Nemanjina Straße erwartete die Demonstranten ein vierfacher Polizeikordon, dahinter Wasserwerfer und Panzerwagen. Nach Gesprächen mit den Angehörigen des Innenministeriums forderten die Führer des Bündnisses für Änderungen die Bürger auf, sich auf den Asphalt zu setzen. Die Polizisten fingen an, auf die Demonstranten einzuschlagen und sie zur Nemanjina Straße zurückzudrängen. Die Bürger liefen davon und zurück zur London-Kreuzung und in Richtung Bahnhof. Die Bilanz des Einschreitens der Polizei - sechzig verletzte Demonstranten und fünf Polizisten.

Am nächsten Tag, dem 30. September, schritt die Polizei gegen friedliche Demonstrationen ein. Auf der Branko-Brücke, auf der Seite von Neu Belgrad, erwartete ein Polizeikordon die über 40.000 Demonstranten, die zu einem Spaziergang zum Palast der Föderation aufgebrochen waren, und schritt brutal ein, bevor sich die Anhänger des Bündnisses für Änderungen zurückziehen konnten. Auch die Führer des Bündnisses für Änderungen mussten Schläge einstecken, die Kameras von Studio B wurden zerschlagen und etwa 20 Leute verletzt. Die Polizei schlug erneut auf die Menschen ein, die auf der Erde liegen geblieben sind. Nach dem Einschreiten auf der Brücke fielen die Polizisten in die umliegenden Cafés ein und schlugen auf die dort sitzenden Gäste ein. 

5. Oktober 2000
Die demokratische Opposition Serbiens (DOS) rief die Bürger auf, sich am 5. Oktober vor dem Bundesparlament zu versammeln, um sich dem großen Stimmenraub zu widersetzen, den die Bundeswahlkommission auf Anordnung Slobodan Miloševićs begangen hat. DOS stellte die ultimative Forderung, dass Slobodan Milošević bis Donnerstag, den 5. Oktober, 15 Uhr, den auf den Bundes-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen am 24. September 2000 geäußerten Willen der Wähler anerkennt. Desgleichen wurde gefordert, dass der Generaldirektor, der Chefredakteur und das Redaktionskollegium des Rundfunks und Fernsehens Serbien (RTS) den Rücktritt einreichen, dass RTS die Redaktionspolitik ändert und eine objektive Berichterstattung über die Geschehnisse in Serbien ermöglicht. DOS forderte außerdem, dass alle verhafteten Personen freigelassen werden und dass Steckbriefe und Strafanzeigen gegen diejenigen zurückgezogen werden, die für die Achtung des Wahlwillens der Bürger Serbiens protestierten.