Tatsachen über Belgrad

"Weit und hoch spannt sich der Himmel über Belgrad, veränderlich, doch stets schön; auch in den klaren Wintertagen mit ihrer Frostpracht; und während der Sommergewitter, wenn er sich ganz und gar in eine einzige düstere Wolke verwandelt, die, gejagt vom Wind, den mit Regen vermischten Staub der Pannonischen Tiefebene mit sich führt; und im Frühling, wenn es aussieht, er würde gleichzeitig mit der Erde erblühen; und im Herbst, wenn er Sternen besät über der Stadt hängt. Stets schön anzusehen und reich, als Entschädigung für alles, was es in dieser Stadt nicht gibt, und als Trost für alles, was nicht hätte geschehen sollen. 
Aber die größte Pracht dieses Himmels über Belgrad sind die Sonnenuntergänge. Im Herbst und im Sommer sind sie eindrucksvoll und glühend wie Visionen in der Wüste und im Winter gedämpft durch bleierne Wolken und rötliche Nebel. Aber zu jeder Jahreszeit gibt es eine Vielzahl an Tagen, wo sich das Feuer dieser Sonne, die in der Ebene, zwischen den Flüssen unterhalb von Belgrad untergeht, sogar hoch oben am Himmelszelt spiegelt, sich dort bricht und als roter Glanz über die ausgedehnte Stadt ergießt. Dann taucht die Sonnenröte flüchtig auch die entlegensten Winkel der Stadt in Farbe und erstrahlt in den Fenstern der Häuser, die Sonnenschein kaum kennen."
Über Belgrad schrieb: Ivo Andrić, serbischer Nobelpreisträger